Die milchig weißen Kugeln aus Deorollern und die Hülle eines alten Schulhefts, blaues Transitband, schwarze Kabelbinder und grüner Autolack: Die Materialien, die Hanne Bay Lührssen für ihre Werke verwendet, sind ungewöhnlich. Die Goldschmiedin und Schmuckdesignerin findet sie auf Baustellen, bekommt sie von Freunden und Kundinnen oder entdeckt sie selbst in kleinen Läden. „Mein Ausdruck muss nicht Gold sein“, erklärt die 73-Jährige. „Und ich zeige gern, dass Schmuck nicht immer glitzern muss. Auch ganz alltägliche Materialien können sehr schmückend sein.“
Mit 18 Jahren wanderte die gebürtige Dänin nach Deutschland aus. „Ich wusste schon in der Schule, dass ich Schmuck machen wollte, aber in Dänemark gab es damals wenige Ausbilder“, erklärt sie. Das Handwerk der Goldschmiedin lernte sie in der Meldorfer Dom-Goldschmiede. Zwar merkte sie schnell, dass das Filigrane nicht ihre Sache ist, aber sie beendet die Ausbildung, arbeitete danach unter anderem in Braunschweig als Goldschmiedin. Der Chef war streng und forderte sie. „Das Handwerk muss sitzen!“ Davon ist sie selbst überzeugt, und das sieht man ihren Stücken bis heute an. Sogar die Verschlussnadeln fertigt sie selbst – immer so, dass sie die Wirkung des Schmuckstückes selbst nicht stören, sondern ergänzen und ihren Zweck optimal erfüllen.
Ihr Stil? Architektonisch, klar – und durch die ungewöhnlichen Materialien, die die Künstlerin meist mit Silber kombiniert, auch immer wieder überraschend. Ihre Kundinnen? Mutige Frauen. „Mit meinen Stücken verlange ich ihnen schließlich einiges ab.“ Eine dieser Frauen ist Königin Margrethe II von Dänemark. Drei Stücke von Hanne Bay Lührssen sind in ihrem Besitz: Ein Salz- und Pfefferstreuer, eine Brosche und ein Halsschmuck. Brosche und Halsschmuck hat die Künstlerin für den Sydslesvigsk Forening (SSF) gefertigt, den kulturellen Dachverband der dänischen Minderheit in Südschleswig, der die Stücke dann der Königin geschenkt hat. Ein weiterer Halsschmuck liegt im Landesmuseum Schloss Gottorf.
Seit 1973 lebt Hanne Bay Lührssen mit ihrem Mann in Flensburg. „Ich fühle: Flensburg ist meine Stadt. Sicher auch wegen der Nähe zu Dänemark.“ Einige Jahre hatte sie einen eigenen Laden in der Roten Straße – gegenüber von Galerie Kruse. „Aber man steht dort viel herum. Ich wollte lieber wieder in Ruhe arbeiten.“ Das tut sie nun in einem kleinen Atelier in ihrem Wohnhaus.
Eines der wichtigsten Werkzeuge ist die große, schwere Walze, mit der sie zum Beispiel Silberplatten auswalzt. Jeden Tag sitzt sie hier und arbeitet, baut Papiermodelle – und schmilzt fertige Stücke auch schon einmal wieder ein. „Das tut mir nicht weh. Wenn sie mir selbst nicht gefallen, möchte ich sie auch nicht präsentieren.“
Immer wieder zieht es Hanne Bay Lührssen auch in die Welt. Nach Philadelphia, „Amerikas Kunsthauptstadt“, zum Beispiel und nach Japan. Ein befreundeter Architekt hatte ihr geraten, dort hinzufahren, um mehr an ihrer Form zu arbeiten. Ein guter Tipp, wie sich herausstellt. „Japaner haben ein besonderes Gefühl für Ästhetik und die Liebe zu den Dingen ist dort sehr groß“, sagt sie. „Selbst wenn man im Supermarkt eine Tafel Schokolade kauft, wird sie sehr geschmackvoll eingepackt. Wenn man mich fragt, würde ich morgen wieder hinfahren!“
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