Im Winter gab's Eisblumen am Fenster

Mehrgenerationenhaushalte auf engstem Raum, das Klo auf halber Treppe, mit Decken kreativ unterteilte Räume und Badetage in der Zinkwanne – Wohnen ging früher eindeutig anders als heute. Schön war es trotzdem. Da sind sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres SBV-Erzählcafés einig.

Bereits zum vierten Mal haben wir uns getroffen. Jedes Treffen steht unter einem anderen Thema, zum Beispiel Spielen und Kindheit oder Mobilität und Urlaub. Diesmal wollten wir wissen: „Wie habt ihr damals gewohnt?“

Schnell wird klar: Platz war rar. „Wir hatten eine 2,5-Zimmer-Wohnung. Da haben wir zwischenzeitlich mit bis zu sieben Menschen gewohnt“, erinnert sich Claus Möller (*1950). Die meisten Kinder schliefen bei ihren Eltern mit im Zimmer, in der Stube oder teilten sich einen Raum mit einem Geschwisterkind. Heute ist das wohl für viele unvorstellbar, zumal eines der Kinder oft ein Nachzügler war: Nicht selten lagen zehn und mehr Jahre zwischen den Geschwistern. Auch Sieglinde Kloske (*1949), die in Hamburg aufgewachsen ist, hatte lange ein Zimmer zusammen mit ihrer Schwester. Erst als der Opa starb, bekam sie ihr eigenes.


Echter Luxus: ein Badezimmer

Wilhelm Flor (*1936) schlief als Junge lange bei den Eltern mit im Zimmer. Als er mit 20 zu seiner Freundin (und heutigen Frau) und deren Mutter zog, „verlebte ich eine Zeit mit viel Luxus. Es gab sogar ein richtiges Badezimmer“, erzählt er. Wer kein Badezimmer hatte, badete nacheinander mit allen Familienmitgliedern zuhause in der Zinkwanne oder in öffentlichen Bade-Anstalten wie dem Volksbad am Nordertor.

Auch die Toilette war selten direkt in der Wohnung, sondern meist auf dem Hof, auf halber Treppe oder im Keller. „Das war schon manchmal unheimlich“, erinnert sich Claus Möller. Zwei solche Keller-Toiletten gab es zu seiner Kinderzeit in dem Haus, in dem er mit seinen Eltern wohnte – für sechs Familien.


Durch den Keller ging es oft auch für Dagmar Dosdal (*1966), wenn sie in die Wohnung kommen wollte, in der sie mit ihren Eltern wohnte. „Die Wohnungen waren alle durch den Keller verbunden. Da haben wir auch viel gespielt.“ Ihrem Quartier Fruerlund ist die Flensburgerin bis heute treu geblieben.

Mehrgenerationenhaus mit Untermieter

Oftmals teilte man sich die eigene kleine Wohnung mit Oma und Opa. Echte Mehrgenerationenprojekte. Teils kamen auch Tanten und Cousinen dazu wie bei Anton Rieck (*1952). „Bei uns war immer was los“, erinnert er sich. Besonders wenn gefeiert wurde, dann kam „Danziger Goldwasser“ ins Spiel und am nächsten Tag waren fast alle Räume „völlig verräuchert“.


Auch Fremde wurden in die beengten Wohnräume aufgenommen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. „In den 60-ern sind wir nach Heiligenhafen gezogen. Da haben wir an Feriengäste vermietet, um etwas dazuzuverdienen“, erinnert sich Verena Lorenzen (*1951). Bei Henry Ploog (*1945) waren es Monteure, die als Untermieter im elterlichen Haus die Haushaltskasse aufbesserten. Auch bei Wilhelm Flor kamen von 1945 bis 1950 Untermieter dazu – Menschen, die im Krieg fliehen mussten.


„Baracken- und Lagerkinder“

Regina Rohde (*1944) kennt die Untermieter-Geschichten von der anderen Seite. „Ich bin eine Geflüchtete. Wir waren bei Einheimischen untergebracht“, berichtet sie. Sie wohnte mit ihrer Familie auf einem nicht ausgebauten Boden, mit Decken in „Zimmer“ unterteilt. Arm? Ja. Trotzdem: „Wir haben das schön gehabt. Es ist ein Wahnsinn, wie zufrieden wir waren.“ In den Flüchtlingsbaracken wurde viel gesungen und gespielt, erinnert sie sich.


Auch Helga Schneider-Kroll (*1952) war ein „Lagerkind“. Sie hat mit ihren Eltern im Lager in Kielseng gewohnt – wo heute die Kläranlage steht. Später haben sie dann eine Doppelhaushälfte gebaut und Helga Schneider-Kroll hatte ihren Schlafplatz erst in der „Besucherritze“ bei den Eltern, dann in einem Durchgangszimmer. Denn auch hier wurde das eigene Zuhause aus finanziellen Gründen mit Untermietern geteilt.

Von Eisblumen, Kachelöfen und Boilern

„Alles mini und feucht“ So beschreibt Kirsten Trems-Knoche (*1950) die erste Wohnung, in der sie als Kind mit ihren Eltern gelebt hat. Als ihre Schwester geboren wurde, bekam sie ein eigenes Zimmer auf dem Dachboden – Luxus in dieser Zeit. Allerdings ein unbeheizter Luxus. „Morgens hatte ich im Winter immer Eisblumen am Fenster.“


Ein wichtiges Thema für alle: die Kälte. In der Regel kam Raumwärme vom Ofen, erst später von der Heizung, das Wasser wurde anfangs ebenfalls auf dem Ofen erhitzt, später dann – als große Errungenschaft – vom Warmwasserboiler. Wohlige Wärme-Erinnerungen haben trotzdem alle. Bei Helga Schneider-Kroll gab es einen Heizstrahler, der immer kurz vor dem Baden angestellt wurde, und bei Marlies Martinz (*1945) zuhause hing an Badetagen die Bettdecke über dem Kachelofen. „Nach dem Baden sind wir schnell ins Bett gelaufen und wurden ganz warm damit zugedeckt. Ein Traum!“