Kreative Karikaturen in Glas


Seit mehr als 40 Jahren hat Anne Wenzel – zusammen mit einem Glasbläser – einen Laden für Glaskunst im Krusehof in der Roten Straßen. Ihre eigenen Werke beschreibt sie selbst als „oft etwas skurril und humoresk“.

Gestaltet werden ihre „kreativen Karikaturen in Glas“ in einem Werkstattatelier in der Süderfischerstraße. In der Mitte des hellen Raums steht der Brennofen. Auf Formen aus einer Gipsmischung liegt darin als Kreis mit unregelmäßigen Konturen zurechtgeschnittenes rotes Glas. Mittig auf dem noch ungebrannten Glas hat Anne Wenzel Glasgranulat gestreut. Auf den ersten Blick ist klar, was hier „wächst“, wenn die Glasplatte sich beim Schmelzvorgang in die Form senkt: Mohnblüten aus Glas.

Auf dem großen Arbeitstisch stapelt sich bereits ein neues Projekt: Herbstlaub aus Glas. „Vergänglichkeit – das ist grad so ein Thema von mir.“ Aber nicht das einzige. Einen ganz anderen Stil zeigen zum Beispiel die Werke, die im Schaufenster ihrer Werkstatt präsentiert werden: Eingefasst in weißen, verspielt verzierten Spiegelrahmen läuft hier eine kleine Hundeparade auf. Glas in knalligen Farben mit eingravierten Bildmotiven: augenzwinkernde Mensch-Hunde-Porträts. „Pudelwohl“, „Lammfromm“ und „Mopsfidel“ lauten einige der Titel. Anne Wenzel: „Ich liebe Wortspiele.“


Ihre Werkstücke entwickeln sich nach und nach. Am Anfang steht aber immer eine Skizze auf Papier. Einige Zeichnungen stehen auf einer Staffelei in der Werkstatt – Ergebnisse aus dem Akt-Zeichenkurs bei Dany Heck in der Norder 147. Auch so eine kreative Inspirationsquelle und „das schult die Augen.“

Ihre Werkskizzen überträgt die 62-Jährige dann mit den unterschiedlichen Gravurwerkzeugen auf das Glas. Auch wenn sie immer wieder einmal den Schmelzofen anwirft oder sogar figürlich arbeitet, zieht sich die Gravur als Methode wie ein roter Faden durch ihr Werk. Ihren eigenen Stil hat sie in der Glasfachschule entwickelt: „Mein einer Lehrer hat ständig neue Ideen ausgetüftelt, während der andere auf klassische Gravurkunst setzte. Ich habe von beidem etwas.“ Und ihren eigenen Stil dazu.

Oft ist es der humoreske, skurrile wie bei der Hundeserie. Manchmal kommt auch etwas Lokalkolorit dazu. Zum Beispiel bei ihren Straßenlaternen: Alte, verrostete Laternengestelle mit eingesetzten gravierten Glasplatten, die Motive aus der jeweiligen Straße zeigen – auch hier mit Augenzwinkern und Wortwitz.


Die Werkstatt in der Süderfischerstraße ist ihr kreativer Rückzugsort. An einer Wand stapeln sich Behälter mit unterschiedlich farbigem Glasgranulat. Auf der schmalen Werkbank steht ihr alter, weißer, schwerer Gravurbock, daneben ein Koffer mit diversen Spindeln mit Diamanträdern. In den Schubladen liegen Schleifscheiben in unterschiedlichen Größen und Stärken. Je nachdem, welches Werkzeug sie nutzt, sind am Ende klare Konturen oder nebulöse Formen zu sehen. Dazu kommen Cutter und Folien zum Sandstrahlen, Glasschneider und diverse Zangen, um die Glasscheiben in Form zu bringen. Ihr Werkmaterial bezieht sie unter anderem aus einer Glashütte in Waldsassen. „Die haben bis zu 5.000 verschiedene Glassorten auf Lager.“ Eine Schatzkiste.

Ihre Werkstatt ist nicht nur Werkstatt, sondern auch Kreativzentrum: „Hier kann ich in Ruhe neue Ideen entwickeln und umsetzen.“ Während der Lockdowns habe die Kreativität allerdings ganz schön gelitten, sagt sie. Es fehlten die Begegnungen, der Arbeitsrhythmus, das Unterwegs-Sein, „neue Bilder im Kopf für neue Ideen“. Und es fehlten die Menschen in den Ausstellungen. Zum Beispiel bei der Sonderausstellung GRAVUR – BACK ON TOUR 2019/2020 im finnischen Riihimäki und im Europäischen Museum für Modernes Glas in Coburg. Der Katalog liegt noch auf ihrem Arbeitsplatz. So langsam geht es nun aber wieder die normalen Wege. Auch im Krusehof in der Roten Straße kommen wieder zahlreiche Besucher vorbei.


Angefangen hat übrigens alles in der Staatlichen Glasfachschule in Hadamar bei Limburg an der Lahn, wo die Künstlerin einen Aushang am Schwarzen Brett entdeckte. Der Glaser Günter Kruse suchte Glaskünstler für Flensburg – für den nach seiner Familie benannten Hof in der Roten Straße. Zusammen mit ihrem Kommilitonen Dieter Schneider machte sich die Nordhessin, damals 19 Jahre alt, auf den Weg – und ist geblieben.

Bildquelle: Julius Demant


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